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WM 1974 - Deutschland

10.WM in Deutschland 1974 - Weltmeister: Deutschland

Als Deutschland die Arroganz besiegte


Gerd Muller markiert das entscheidende 2:1 im Finale gegen die Niederlande
Kapitän Franz Beckenbauer reckte den Pokal gen Himmel, es war vollbracht. Das Unternehmen Weltmeisterschaft im eigenen Lande war mit einem 2:1-Finalsieg über die starken Niederländer erfolgreich abgeschlossen. Doch für den zweiten WM-Titel war ein gehöriges Stück Arbeit erforderlich.

Nach dem überragenden EM-Erfolg 1972 zählte die deutsche Mannschaft zu den absoluten Top-Favoriten auf die Weltmeisterschaft 1974. "Das begabteste Team unseres Kontinents" ("The Times"), "Diese Mannschaft ist nur mit einer Maschinenpistole aufzuhalten" ("Gazzetta dello Sport") - Superlativen en masse nach dem 3:0 über die UdSSR. Netzer, Beckenbauer, Müller, Overath, zählten zu den Besten der Welt.

Das "Ende der Welt" für England
Tragische Szenen gab es jedoch bei den Engländern. In der Qualifikation musste Polen in Wembley geschlagen werden, um bei der WM dabei zu sein. Schuss auf Schuss prasselte auf Jan Tomaszewski ein. Er schien unbezwingbar. 100.000 Zuschauer konnten es nicht fassen, als die Polen nach einer Stunde in Führung gingen. Mit dem ersten Torschuss. Es reichte nur zu einem Elfmetertor für England. Zu wenig. "Das Ende der Welt" und "Englands Nacht der Tragik" titelte die Presse.

Auch die Niederlande wären beinahe gescheitert. In der entscheidenden Partie gegen Belgien versagte der russische Referee den "Roten Teufeln" ein reguläres Tor. Es hätte das Aus für die Holländer bedeutet. So kassierte Belgien (wie Italien) in der Qualifikation zwar kein Gegentor, musste sich aber der Tordifferenz geschlagen geben.

Pleite im Bruder-Duell
14. Juni, Anpfiff zum ersten deutschen Spiel gegen Chile. Vor 84.000 Zuschauern in Berlin erzielte Paul Breitner mit einem fulminanten Weitschuss nach 18 Minuten das einzige Tor. Dem mühsamen Auftakt folgte ein 3:0-Pflichterfolg über Australien. Spiel drei der Vorrunde ist Fußball-Historie geworden: In Hamburg traf die Bundesrepublik am 22. Juni auf die DDR.



Die Entscheidung im "Bruder-Duell" - Sparwasser macht das 1:0 gegen die Bundesrepublik
79. Minute: Jürgen Sparwasser bekam den Ball, ließ Höttges stehen, Vogts zu spät, und der Schuss schlug zum 1:0-Siegtreffer für die DDR ein. "Auf meinem Sarg müsste nur stehen, Hamburg WM 74 und schon wüsste jeder Bescheid", meinte Sparwasser 1998. "Es gab keine große Ehre auch keine besonderen Prämien. Es war das Spiel der Funktionäre." Die Bundesrepublik war zwar für die zweite Finalrunde qualifiziert, hatte aber keineswegs überzeugt.

Beckenbauer wird laut
"Noch ist Deutschland nicht verlorenen", titelte die "Bild". Nach der Niederlage im "Bruderkampf" schlug Kapitän Beckenbauer mit der Faust auf den Tisch, die Mannschaft raufte sich zusammen.

Erstmals wurde wieder eine zweite Gruppenphase nach der Vorrunde eingeführt. Das DFB-Team traf auf die starken Polen, Schweden und Jugoslawien. Holland hatte es mit der DDR, Brasilien und Argentinien zu tun.

Deutschland schlug Jugoslawien 2:0, die Schweden wurden in einer tollen Partie mit 4:2 niedergekämpft.

Wasserschlacht von Frankfurt
In Frankfurt kam es zur entscheidenden Begegnung gegen die Polen, die ebenfalls zwei Siege auf dem Konto hatten. Sintflutartige Regenfälle sorgten für katastrophale Platzverhältnisse. Der Anpfiff erfolgte fast eine Stunde später, die Begegnung wurde durch Wolkenbrüche immer wieder beeinträchtigt. Nach 90 Minuten im Waldstadion hatte das deutsche Team nach einem typischen Gerd Müller-Tor das Finale erreicht.

Gegner war Holland. Das Oranje-Team hatte in der Zwischenrunde begeistert. Drei Siege ohne Gegentor. Zum Abschluss gab es ein ungefährdetes 2:0 über Titelverteidiger Brasilien. Die meisten waren sich einig: Johannes Neeskens, Johannes Cruyff, Johannes Rep, Ruud Krol und Co. würden die neuen Weltmeister.

Zwei Elfmeter im Finale
7. Juli 1974. Deutschland gegen Holland, das Finale in München. 30 Sekunden gespielt. Urplötzlich setzte Cruyff zu einem Sprint an, drang in den Strafraum ein. Uli Hoeneß holte ihn von den Beinen. Neeskens hämmerte den Strafstoß in die Mitte - Tor. Deutschland erholt sich langsam von dem 0:1-Schock.

Cruyff und Neeskens waren kaum zu stoppen. "Wenn Cruyff den Ball hat, mache ich die Augen zu und laufe. Der Ball kommt dann automatisch", meinte Neeskens. So liefen die ersten 20 Minuten.

Dann wurde die DFB-Elf stärker. Bernd Hölzenbein ließ im holländischen Sechzehner zwei Mann aussteigen und wurde von Jensen gelegt. Wieder Elfmeter (25.). Breitner erzielte eiskalt den Ausgleich.

Beckenbauer (l.) mit dem Pokal - Deutschland ist Weltmeister
Siegtreffer durch Müller

Die Gastgeber drängten. Franz Beckenbauer scheiterte mit einem Freistoß an Paradiesvogel Jan Jongbloed. Grabowski, Hoeneß und Vogts vergaben gute Chancen.

Dann die 43. Minute: Bonhof mit schönem Flankenlauf auf rechts. Pass in die Mitte. Gerd Müller verfehlte beim ersten Versuch. Bekam den Ball erneut. Schnelle Drehung, Schuss ins linke Eck. Jongbloed zum zweiten Mal geschlagen.

Die zweite Hälfte ist eine regelrechte Abwehrschlacht der Deutschen. Die starken Holländer scheiterten jedoch immer wieder am glänzenden Sepp Maier. Nach 90 Minuten hatte es Deutschland zum Titel geschafft.

"Wollten die Deutschen vorführen"
1973 hatte Ajax Amsterdam die Bayern im Viertelfinale des Landesmeister-Pokals 4:0 deklassiert. "Wir wollte die Deutschen vorführen", meinte später Johnny Rep. "Wir vergaßen dabei das zweite Tor zu schießen." Uli Hoeneß gab zwar zu: "Sie waren ein besseres Team als wir." Doch die Niederlande waren an der Arroganz gescheitert. "Es störte uns nicht, wenn wir nur 1:0 gewannen, so lange wir sie demütigen konnten", verriet Wim van Hanegem.

"Wir nahmen uns vor, den Holländern in die Augen zu schauen", erklärte Bernd Hölzenbein später. "Wir wollten zeigen, dass wir genauso groß waren, wie sie. Sie hatten das Gefühl, unschlagbar zu sein. Ihre Haltung (...) war: Mit wie vielen Toren Unterschied wollt ihr heute verlieren, Jungs!"

20 Jahre und drei Tage nach Bern waren die Deutschen wieder Weltmeister. "Sie haben auf die teutonische Art gewonnen", titelte der "Corriere dello Sport". Der Glanz des EM-Titels von zwei Jahren zuvor fehlte. Die deutsche Maschine hatte "Fußball gearbeitet" (Breitner). Und gegen den "Fußball total" der Holländer triumphiert.

Was sonst noch passierte:
Für die WM in Deutschland bewarb sich eine Rekord-Teilnehmerzahl von 96 Nationen.

Die Niederlande qualifizierten sich zum ersten Mal seit 36 Jahren wieder für eine Endrunde.

Die UdSSR musste in zwei Entscheidungsspielen gegen Chile antreten. 0:0 endete das Hinspiel in Moskau. Nach dem Militärputsch in Chile nutzten die Südamerikaner das Nationalstadion als Gefängnis und Folterstelle für Verdächtige. Die UdSSR bat um eine Verlegung. Die Fifa lehnte ab. Am 21. November 1973 wurde die Partie angepfiffen. Chile schob den Ball ins leere Tor, da der Gegner nicht angetreten war. Dann der Abbruch, weil niemand den Wiederanstoß ausführen konnte. Die Partie wurde 2:0 für Chile gewertet.
Das 1:0 der DDR über die Bundesrepublik war der erste und letzte Vergleich beider Länder.

Zum ersten Mal wurde der neue Fifa-Weltpokal vergeben. Nach dem dritten WM-Sieg 1970 ging der Cup Jules Rimet in den Besitz der Brasilianer über.

Zwei Tage vor dem Finale berichtete Bild über die Pool-Affäre der Holländer, die sich in ihrem Quartier (Münster-Hiltrop) mit nackten Mädchen vergnügt haben sollen. Eine erzürnte Danny Cruyff soll daraufhin die ganze Nacht vor dem Finale mit ihrem Mann am Telefon diskutiert haben. Keine angemessene Spielvorbereitung!